Roman Stöppler

23. März 2022

SCHULDZUWEISUNGEN AN ANDERE

Schuld ist immer ein zweischneidiges Schwert. Und gemäß einer alten Weisheit zeigen drei Finger immer auf dich selbst, wenn du auf jemand anderen zeigst. Schuld funktioniert ebenso. Denn meist ist die Schuldzuweisung an andere eine Abwehr eigener Schuldgefühle. Dabei sind diese Schuldgefühle sehr vielfältig und meist schambesetzt. Nicht gut genug zu sein (für wen?) kann Ordnung, Leistung, Liebenswürdigkeit betreffen und ist dabei meist ein ererbter Wert.

Wenn Eltern, Lehrer oder andere Bezugspersonen in der Kindheit einem die Liebe verweigern, die man braucht empfindet ein Kind meist Schuld. "Du bist keine 5 Pfennig wert" habe ich mal einen Vater zu seinem Sohn sagen hören. Ohne Rücksicht auf die Konsequenzen versuchte er sich damit selbst aufzuwerten (besser sein als ein 12 Jähriger ist für einen Erwachsenen natürlich eine zweifelhafte Aufwertung) und gleichzeitig Aggressionen abzuführen, die er aus eigener (ererbter) Schuld besitzt.

Bei vielen ist der spätere Versuch Perfektion zu erreichen eine Abwehr dieser primären Schuld. Nicht gut genug zu sein oder nicht genug erreicht zu haben muss sich doch ausgleichen lassen. Und oft wiederholt man das gelernte Schema: die Schuldzuweisung an andere ("Du bist doch keine 5 Cent wert"). Dem anderen die Perfektion abzusprechen ist dann eher eine Projektion. In dieses Schema des ursprünglich von Freud eingeführten Abwehrmechanismus Projektion ließe sich alles einordnen. Den eigenen Mangel beim Anderen sehen und anmahnen, um von der eigenen Schuld abzulenken, sich selbst nicht mehr zu sehen.

Als bekanntes Besipiel ist der aggressive Partner zu nennen, der die Ursache seiner Gewalt Liebe zuordnet. Die Schuld oder besser mangelnder Selbstwert, machen ihn rasend vor Eifersucht. Er kann mit Zurückweisung nicht umgehen, denn er ist es in seinen Augen nicht wert geliebt zu werden und jede Zurückweisung bestätigt ihn.

Jeder Mangel ist so interpretiert eine Schuld. Und um die eigene Schuld nicht spüren zu müssen, nicht sehen zu müssen, sucht und findet man sie bei anderen. Eine mögliche Lösung aus diesem vererbten Problem liegt darin, sich der Sehnsucht bewusst zu werden. Das kann die Sehnsucht nach der Liebe der Eltern sein, welche immer nur die guten Noten geliebt haben, aber nie das Kind selbst. Eltern die gar nicht anwesend waren oder traumatische Erlebnisse für die sich viele noch selbst verantwortlich machen. Sich seiner Wünsche uns Sehnsüchte bewusst zu werden, heißt den Mangel zu erkennen aber auch akzeptieren zu können. Und wohlgemerkt ist es nicht der eigene Mangel, nicht die eigene Unzulänglichkeit, sondern ein Magel etwas nicht bekommen zu haben, was man meist dringend gebraucht hätte.

Schuld ist ein schweres Schicksal. Deren Systematik und wahren Ursprünge zu erkennen ist der erste Schritt zur Heilung.

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