Das altgriechische Wort ψυχή (psyche) steht für Seele, Hauch, Lebendigkeit. Die Psychologie ist daher die Lehre von der Seele und vom Leben. Was der Mensch zu einem guten Leben braucht ist Gegenstand eines anderen Artikels (Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan), hier werfe ich einen Blick darauf, was aus dem Begriff der Seele im Laufe der Zeit und vor allem in unseren modernen Zeiten geworden ist. Es gibt viele Synonyme für Seele die auch heute noch verwendet werden. Unter anderem Identität, Selbst und Bewusstsein. Mit unterschiedlichem Schwerpunkt drücken Sie eine Essenz unseres Wesens aus, die wir explizit wahrnehmen und so auch erklären können. Wir nennen dieses Wesen auch Charakter oder Persönlichkeit, aber je weiter der Begriff, desto schwieriger ist er zu fassen. Was also ist Identität, Selbst, Bewusstsein? Die Identität ist gewissermaßen das Selbst, indem die identitas (lat.: derselbe) die Übereinstimmung ist, was in der Psychologie eben nur die Übereinstimmung mit dem Selbst sein kann. Der Begriff des Bewusstseins ist von Christian Wolf 1720 das erste Mal genannt worden, als Übersetzung des lateinischen conscientia. Und so ergab sich die Reihe über Seele, Selbst, Identität hin zu Bewusstsein.
Doch die Übereinstimmung mit sich selbst verlangt heute mehr Flexibilität als noch vor 20 Jahren. Die Zeiten sind schnelllebiger und die Veränderungen vielfältiger geworden und so müssen wir unsere Identität oft neuen Umständen und Anforderungen anpassen. Da kommt die Erzählung – oder neudeutsch Narration – nicht von ungefähr und füllt die Lücke. Die Geschichte kann in jeder Erzählung angepasst werden. Vorbei sind die Zeiten da man die Lehre bei Daimler anfing und bis zur Rente dort blieb, was eine lebenslange Identität stark förderte. Heute müssen wir flexibler sein, uns laufend fortbilden und auch mal etwas über Bord werfen, was einfach nicht mehr passt. Allein die Veränderung der Technik und die damit einhergehende Veränderung der Welt verlangen dies.
Wie passen nun aber Verschwörungstheorien in diese Reihe der Begriffe? Für alle die Zeit haben empfehle ich die Folge narrative Gesellschaft (28.08.2022) in der Reihe Sternstunde Philosophie des SRF. Hier wird der Bogen geschlagen, von der Erzählung des eigenen Lebens hin zur Suche nach guten Erzählungen um Struktur in das Denken und die Vorstellungen zu bringen. Der Mensch ist ein narratives Wesen, bedeutet auch, dass wir auf Geschichten angewiesen sind, das wir sie suchen, um unsere Welt zu bauen. Für die Psychologie ist das nichts Neues. Wir suchen Muster, um Energie zu sparen. Wir bilden Muster auf neuronaler Ebene um diese Klarheit und Struktur überhaupt erst zu ermöglichen. Im Durcheinander der ungefilterten sensorischen Information geht alles in einem unendlichen Rauschen unter. Wir setzen Prioritäten. Jeder, der sich einmal etwas kaufen wollte und sich mit dem Produkt daher auseinandersetzte kennt dies vielleicht, das dieser Gegenstand plötzlich viel häufiger auftaucht in der Umwelt. Und das auch ohne die Algorithmen die uns passende Produkte anzeigen. Wenn ich mir einen bestimmten Wagen kaufen will, nehme ich diesen im Alltag und im Verkehr plötzlich viel häufiger wahr als vorher.
Die Geschichte ist ein solches Muster, das uns Struktur gibt und damit Halt in der Welt und im Denken. Und eine Welt die sich schneller verändert als früher kann das gut gebrauchen. Auch Menschen die das Gefühl haben nicht mehr die Kontrolle zu besitzen können das gut gebrauchen. Und so tauchen in Krisenzeiten sehr zuverlässig Verschwörungstheorien auf. Denn sie sind nicht nur Muster sondern meist auch gute Erzählungen, also unterhaltsam. Und dafür sind wie eben sehr anfällig.
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