In meiner Tätigkeit bin ich immer wieder auf mangelnden Selbstwert als Thema gestoßen. Auch bei Klienten die auf den ersten Blick einen wirklich guten Selbstwert haben, die sehr Kompetent erscheinen, Firmen gegründet haben und diese mit Stärke und Disziplin leiten.
Meiner groben Schätzung nach steckt hinter 80% aller Probleme eine Selbstwertthematik. Das ist eine gute und eine schlechte Nachricht, denn wer will schon Selbstwertprobleme haben; Unser Ego liebt es sich streicheln zu lassen und in Großartigkeit zu baden. Die Gute Nachricht dabei: hat man das Problem erkannt, kann man es gut bearbeiten. Es ist Arbeit, aber machbar. Viele kleine Schritte führen aus dem Dilemma ebenso heraus, wie viele kleine Schritte hineingeführt haben.
Zuerst muss man das Konstrukt Selbstwert verstehen. Wie setzt es sich zusammen? Was brauchen wir für einen gesunden Selbstwert und ein gesundes Selbstbewusstsein, denn beides ist nah miteinander verwandt. Kobras (1979) und Deci und Ryan (1980) beschreiben es mit unterschiedlichen Worten, sprechen aber im Grunde vom gleichen. Zusammengefasst findet man es übersichtlich in dem Beltz Therapie-Tool von Chmielewski und Hanning (2021).
Ich liefere Ihnen einen kurzen Abriss. Selbstwert setzt sich aus 3 Säulen zusammen: Bindung / Zugehörigkeit – Kompetenz – Selbstbestimmung. Das ergibt bei funktionalem Denken die Glaubenssätze: Ich werde geliebt – ich kann was – und ich habe Kontrolle. Wenn man weniger Glück hatte: Ich bin nicht liebenswert – ich kann nichts – und ich habe keinerlei Macht oder Kontrolle über mein Leben. Die Erlebnisse, die zu solch dysfunktionalem Denken führen, liegen in den drei Säulen oder besser in deren Beschädigung. 1. Zu wenig Bindung: Wenn es Liebe nicht oder nur bei besonderer Leistung gab. Das heißt, selten Umarmungen oder z.B. nur bei guten Noten, oft auch generell wenig Zuspruch oder einfach keine bedingungslose Zuneigung ohne Grund. Meist sind die Bezugspersonen selbst stark belastet (aufgewachsen) und daher nicht in der Lage Liebe zu zeigen, selbst wenn sie da ist. 2. Kompetenz: Neben der direkten Erniedrigung („Du kannst ja gar nichts“ oder „bist Du dumm“) kann fehlende Ermunterung auch schon ausreichen. 3. Selbstbestimmung: hier ist als aktuelles und griffiges Beispiel Helikopter-Parenting zu nennen, Eltern die dem Spross die Woche oder gar das Leben durchplanen, so dass dieser keine Individualität entwickelt, kein eigenes Selbst. Aber auch eine übergriffige Mutter, die einem ungefragt immer das Zimmer aufräumt kann das Gefühl von Ohnmacht erzeugen.
Ein spannendes Thema, dass noch weiter ausgeführt werden könnte. Aber um einen wirklichen Mehrwert in diesen Text zu bringen möchte ich ein paar Schlagworte nennen, an welchen man solche Beschädigungen der 3 Säulen auch erkennen kann. 1. Bei Bindung ist der klassische Narzisst zu nennen. Die Aufwertung der eigenen Person ist ein Versuch den mangelnden Selbstwert zu erhöhen. Natürlich funktioniert das auch über Abwertung Anderer. Eine weitere Möglichkeit ist es sich zu einer besonderen Gruppe zugehörig zu fühlen. Das kann auch nur Geheimwissen betreffen und in Verschwörungstheorien führen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und die Ursache oft emotionaler Missbrauch oder mangelnde Empathie bei oder durch die Eltern. 2. In der Kompetenzsäule können Ursachen Erniedrigungen sein, also schlechte Erfahrungen, übles Feedback z.B. bei einer Präsentation und in frühen Jahren die Abwertung von Leistung (evtl. weil bei dem der Urteilt selbst mangelnder Selbstwert vorliegt und er sich über die Abwertung besser fühlt). Das Ergebnis ist die Vermeidung von Beurteilungen, das Wegducken, wenn es um Aufgaben geht oder das Verstecken hinter Routinen. 3. In der letzten Säule, der Selbstbestimmung zeigen sich Verletzungen durch Aushalten, Unterordnen, zu große Anpassungsfähigkeit (was zu Depression führen kann).
So weit so gut mit diesem nur skizzenhaften Abriss. Die gute Nachricht wurde oben schon genannt: Man kann aktiv etwas tun! Kritische Analyse, genaue Selbstbeobachtung, Hinterfragen von Automatismen. Man muss sozusagen wissen wo man steht, um entscheiden zu können wo man hinwill. Bei diesem Schritt hilft dann auch der Kieseler Kreis, ein Kompass möglicher Verhaltensweisen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der fähige Firmengründer übrigens, der erst auf den zweiten Blick einen beschädigten Selbstwert hat, versucht eventuell mit Kompetenz eine Bindungsverletzung zu kompensieren. Er ist also beinahe schon überkompetent. Das ist legitim und funktioniert in der Regel auch. Die Verletzung wird dadurch jedoch nicht geheilt, bestenfalls zugedeckt.